In der aktuellen LEON*-Ausgabe 05 beschäftigt sich das Editorial mit dem deutschen Dilemma einer mangelnden Fernsehpräsenz des Turnens. Da dieses Thema nicht auf einer halben Seite abzuhandeln ist, steht in LEON* nur die Kurzfassung, hier lesen Sie den Beitrag in voller Länge:
Wer nicht mehr zu sehen ist, läuft Gefahr, für tot erklärt zu werden. Man sollte sich deshalb durchaus Sorgen machen, wenn eine traditionsreiche Sportart wie Kunst- oder Gerätturnen auf den Fernsehschirmen Deutschlands nicht mehr erscheint. Diese Sorgen sind nicht neu, aber die Weltmeisterschaften im fernen Nanning haben sie erneut heraufbeschworen. Da geht ein grandioses Championat über die Bühne, und nur mit Tricks und pfiffigen Alternativmodellen kann der Turnbegeisterte hierzulande einige Häppchen erhaschen. So hat Marius Toba in Hannover den respektablen Auftritt seines Sohnes Andreas im rumänischen Fernsehen verfolgt; andere wiederum nutzten – je nach Empfangsmöglichkeiten–- das russische, österreichische oder schweizerische Fernsehen bzw. umgingen trickreich die deutsche Länderkennung im Internet, um Livestream-Kanäle anzuzapfen, die für Deutschland eigentlich gesperrt waren. Wer diese rechtliche Grauzone meiden wollte, behalf sich vielleicht mit dem Liveticker des DTB.
Sieht so die mediale Zukunft für das Turnen aus? Aus deutscher Sicht wohlgemerkt, denn hier herrschen ARD und ZDF allgewaltig über das Ausstrahlungsmonopol von Turnveranstaltungen. Sie haben über ihre Vermarktungsagentur SportA die Übertragungsrechte vom DTB gekauft (mit dem Geld der Gebührenzahler wohlgemerkt) und sitzen nun darauf. Da die Nutzung dieser Rechte, also eine Berichterstattung von Veranstaltungen, für sie erneute erhebliche Kosten bedeuten würde, entscheiden sie sich lieber für jene Sportarten, die ihrer Ansicht (!) nach mehr Einschaltquote bringen. Ungeachtet des gesellschaftlichen Auftrags der Öffentlich-Rechtlichen, für eine auch nach Sportarten ausgewogenen Berichterstattung zu sorgen.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat angesichts des jahrelangen Missverhältnisses in der Ausstrahlung von Fußball, Fußball, Motorsport und den sonstigen Sportarten offensichtlich schon resigniert und präferiert nun einen eigenen Internet-Sportkanal (Sportdeutschland.TV) als den Ausweg aus dem medialen Dilemma für alle „Randsportarten“, die den Quoten-Erwartungen der Fernsehanstalten nicht entsprechen. Ja super, eine Riesen-Chance, denkt sich da vielleicht der deutsche Turnsportfreund, dann nutzen wir doch dieses Internetportal für Übertragungen der Bundesliga oder Deutschen Meisterschaften! Nur leider herrscht dort dieselbe Rechte-Blockade wie fürs Fernsehen. SportA, die Sportrechte-Agentur von ARD und ZDF und Partner des DTB, besitzt auch die Bewegtbild-Hoheit im Internet – und nutzt sie ebenso wenige wie im Fernsehen. So hat SportA für die Turn-WM in Nanning eine Sub-Lizenz von der FIG für Deutschland erworben – aber ebenfalls nichts übertragen. Die FIG musste deshalb ihren speziellen WM-Livestream-Kanal für Germany sperren. (Zum Bild: Die DOSB-Internet-Plattform „Sportdeutschland.TV“ bietet Verbänden die Möglichkeit, Übertragungen von Wettkämpfen auszustrahlen – wenn der Verband das Material selbst produziert. Eine Chance für das deutsche Turnen? Mehr dazu in LEON* 05.)
Auf der DTB-Homepage kann man über SportA nicht nur lesen, dass die Agentur über ein breitgefächertes TV-Rechte-Portfolio verfügt, sondern auch, dass sie mit dem DTB eine „langjährige und konstruktive Partnerschaft“ verbindet. Warum hat man einen Partner, der so wenig für einen tut? Liegt es an den Verträgen, die mit dem Partner ausgehandelt wurden? Uschi Schmitz, Geschäftsführerin der Service GmbH des DTB, erklärt: „Sendegarantien des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gibt es für die meisten der Sportarten in Deutschland – und so auch für die Sportarten des DTB – nicht.“ Ausnahmen seien Sportarten wie Fußball.
Bleibt die Frage, wie die Strategie des DTB aussieht, um diesem dauerhaften Missstand abzuhelfen, nachdem man sich mit Haut und Haar (mit TV und Internet-Stream) an seinen Partner verkauft hat, jeweils für den olympischen Zeitraum von vier Jahren, der aktuelle Vertrag läuft 2016 aus. Will man künftig das Internet für eigene Bewegtbild-Angebote nutzen, muss man Teilrechte aus dem Vertrag herauskaufen – oder den Folgevertrag anders aushandeln.
Es wäre jedoch zu einseitig gedacht, die Misere der medialen Turn-Präsenz nur dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen anzulasten. Genauso ist der Turnverband in der Pflicht, für ein attraktives, ideenreiches „Produkt“ zu sorgen, das die Entscheider in den Fernsehanstalten auch überzeugt, sich zu engagieren – also die Veranstaltung redaktionell aufzubereiten und ihrem Fernseh- oder Internetpublikum anzubieten. Mit einem „attraktiven Produkt“ sind nicht einmal in erster Linie die Weltklasseleistungen der Akteure gemeint – die gab es in der jüngsten Vergangenheit ja durchaus –, sondern vor allem kreative Konzepte und Veranstaltungspräsentationen, die den Ansprüchen und Anforderungen an moderne Fernsehunterhaltung genügen. Wiederholt haben beispielsweise TV-Verantwortliche angemahnt, dass es für die „Randsportarten“ des Sommers ähnliche Terminabsprachen geben müsste, wie es bei den Wintersportarten der Fall ist. Erst dies mache eine stundenlange Konferenz-Sendung möglich, wie wir sie in den kommenden Winter-Monaten wieder erleben werden. In dieser Sache ist vor allem der DOSB gefordert.
Der DTB jedoch sollte durchaus auch darüber nachdenken, wie man die ausgefahrenen Gleise der Traditionssportart Turnen verlassen könnte, um sich für den langjährigen Partner ARD und ZDF wieder hübsch zu machen. Warum kann man in solch einer ästhetisch-zirzensischen Sportart nicht wenigstens auf nationaler Ebene Wettbewerbsformen mit größerem Show-Wert präsentieren, die das Fernsehen wieder neugierig werden lässt. In dieser Hinsicht könnte die Deutsche Turnliga durchaus eine Vorreiterrolle einnehmen, schließlich hat sie auch mit Erfolg ein neues Wertungssystem für den Ligabetrieb etabliert.
Wer vorwärtskommen will, muss Altbewährtes auch mal in Frage stellen. So wie es andere Sportarten mit (Medien-)Erfolg getan haben. Der DTB mit seinen Landesverbänden und Partnern sowie die Veranstalter großer Wettkämpfe sind unabhängig von der prekären Fernsehrechte-Situation gefordert, neue Wege einzuschlagen, das System des Wettkampfturnens aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken! Damit diese Sportart in Deutschland nicht völlig von der Bildfläche verschwindet und –mangels finanzkräftiger Sponsoren – irgendwann eines langsamen Todes stirbt.
Andreas Götze (4. 11. 2014)